Wenn es eine Steigerungsform des Eigenschaftsworts «barock» gäbe, dann könnte man von der Kantate BWV 210 «O holder Tag, erwünschte Zeit» völlig zutreffend sagen: barocker geht’s nimmer! Es handelt sich um ein weltliches Werk, für den gemütlichen Teil eines Hochzeitsfests geschrieben. Wer nun aber einfach plakativ-süsse Musik oder gar trivial-gesellige Fröhlichkeit erwartet, liegt falsch. Barock wäre nicht Barock, wenn der Affekt von Glück und Frohmut nicht durch Gewürze, Salz oder Pfeffer konterkariert und dadurch in seiner Wirkung noch gesteigert würde. Johann Sebastian Bach und sein Librettist machen daraus ein eigentliches Programm, das vor Begriffen wie Eitelkeit, matten Tönen, ja Tod und Grab nicht zurückschreckt und am Ende gar noch die Apokalypse an einem Rockzipfel erwischt.
Gewürze, Salz und Pfeffer: Das sind die – sprachlichen – Instrumente, derer sich ein guter Kabarettist bedient, um Ohren, Augen und Herzen des Publikums für Dinge zu öffnen, die sonst als belanglos übersehen oder als unwillkommen verdrängt würden. Jürg Kienberger, Musiker, Sänger und Kabarettist, passt perfekt zum Setting dieser Hochzeitskantate, nicht zuletzt auch just wegen deren Verknüpfung mit dem letzten Buch der Bibel. Als Komponist einer Vertonung des Einsiedler Welttheaters kennt er die immense Spannweite, die ein menschliches Leben, ob allein oder in inniger, gewürzreicher Ehe vereint, ausmachen kann.
Zum Barock gehörte offensichtlich auch ein anderer Umgang mit der Zeit – ein gemächlicherer. Die vorliegende Hochzeitskantate ist von beträchtlicher Dauer. Damit der Genuss nicht in Pein umschlägt, führen wir BWV 210 deshalb nur einmal auf und setzen die Reflexion in die Mitte. Doch seien Sie sich gewiss, unser musikalischer Leiter wird sich noch das eine oder andere Gewürz samt Prise Salz und Pfeffer einfallen lassen, um Ihren Verzicht auf die Doppelaufführung zu versüssen!