Hatte Johann Sebastian Bach Humor? Im Umgang mit Engeln ganz gewiss. Denn die sich der menschlichen Wahrnehmung entziehenden Wesen liessen dem Thomaskantor alle Möglichkeiten zur phantasievollen Entfaltung. Das kann am Beispiel der Kantate BWV 130 «Herr Gott, dich loben alle wir» unschwer demonstriert werden: Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung vom Feinsten!
Ironie: Da ist zunächst von der Gemeinde, einem «armen Häufelein», die Rede – musikalisch trifft der Engel Scharen auf sie mit Pauken und Trompeten und sämtlichen Registern aus Chor und Orchester. Wucht und Pomp, die Leipziger Realität widerspiegelnd. Denn am Michaelistag war die Thomaskirche gerappelt voll. Kein armes Häufelein war da versammelt, sondern die stolze Bürger- und Kaufmannschaft zu Beginn der grossen Herbstmesse in der damaligen Weltstadt Leipzig.
Scherz: In der Arie Nr. 5 fährt (wieder einmal…) Elias’ Feuerwagen auf. Doch evoziert Bach das Bild eines barocken Space Shuttle? Mitnichten. Der Wagen des Elias’ entspricht höchstens einem Wattebausch, einem Wölklein, das von einer nicht müde werdenden Nachtigall eskortiert gen Himmel schwebt. Wer hätte das erwartet?
Satire: Im in jeder Hinsicht zentralen Stück der Kantate, dem als Duett (!) gestalteten Rezitativ Nr. 4, stellt Bach das schlechthin Unglaubliche dar, nämlich die treue Begleitung des Gläubigen durch eine sanfte himmlische Macht. Musikalische Engführung mit Engeln! Satire bedeutet Blossstellung der menschlichen Schwächen mit künstlerischen Mitteln. Das genau bewirkt Bach: Ach, wenn der Mensch nur merkte, welche Kräfte dauernd hinter ihm stehen!
Tiefere Bedeutung: Drei völlig unterschiedliche Annäherungen an das Unvorstellbare, drei scharf gezeichnete Sichtweisen auf das Irreale – Johann Sebastian Bach versteht es, Verständnis zu wecken für das, was wir nicht verstehen können und auch nicht müssen. Die Ahnung genügt vollends.
Soweit die künstlerische Annäherung an das Thema «Engel». Unser nächster Reflexionsreferent, Walter Sparn, war bis zu seiner Pensionierung Professor für Systematische Theologie unter anderem an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Welche zusätzlichen Erkenntnisse erhalten wir von dieser Seite?
Es gilt noch, auf unsere verlegerische Tätigkeit hinzuweisen. Mit BWV 153 «Schau, lieber Gott, wie meine Feind» haben wir die erste Kantate aus diesem Produktionsjahr 2023 freigeschaltet. Sie finden Kantatenkonzert, Einführungsworkshop und Reflexion unschwer auf www.bachipedia.org.
Ferner erscheint in diesen Tagen die nächste CD, nämlich die Nummer 45 mit den Kantaten BWV 74 «Wer mich liebet, der wird mein Wort halten», BWV 86 «Wahrlich, wahrlich, ich sage euch», BWV 41 «Jesu, nun sei gepreiset». Wussten Sie, dass für diese CDs eine nochmalige Tonregie von Gallus Media durchgeführt wird und dass Dr. Anselm Hartinger die Texte für das Booklet nochmals eigens überarbeitet?
Wir wünschen tolle Hörerlebnisse und freuen uns auf ein Wiedersehen an unseren Konzerten.