Als gedankenlose Imitation oder gar Veräppelung fremden Kulturguts durch Vertreter eines sich zumindest implizit überlegen gebenden Weltteils trifft der Vorwurf gewiss ins Schwarze. Auf der anderen Seite war kulturelles Schaffen noch stets reger Austausch zwischen den Kreativen unter den Menschen gewesen – ein Verzicht auf kulturelle Aneignung käme einem Stillstand gleich.
Wenn es ein Vorzeigebeispiel früher kultureller Aneignung gibt, dann ist es die Adaption von Giovanni Battista Pergolesis «Stabat Mater» durch Johann Sebastian Bach. Das geschah in reifen Lebensjahren, nämlich vier Jahre vor dem Tod des Thomaskantors. Bach wäre nicht Bach gewesen, wenn er nicht eine Transformation vorgenommen hätte. Dies zunächst und allem voran einmal mit dem Text, einer gereimten Nachdichtung des Psalmes 51. Der Librettist ist unbekannt. Bach veränderte Stimmführungen, ergänzte Passagen und tauschte Sätze um. Was resultierte, ist ein im eigentlichen Sinn des Wortes eigenartige Komposition: Pergolesi und doch nicht Pergolesi, Bach und doch nicht Bach. Puristen mögen die Nase rümpfen, Geniesser lassen das Werk einfach auf sich wirken. Hervorragende Musik ist BWV 1083 alleweil.
Psalm 51 handelt von der Tilgung von Sünden; unser Reflexionsreferent ist unter anderem als forensischer Psychiater damit beschäftigt, die Gesellschaft vor den gefährlichsten Sündern zu schützen, indem er Risikobeurteilungen von Straftätern vornimmt. Sünde oder genetische, vielleicht auch traumatisch erzeugte Prädisposition – kann das «Böse» wirklich objektiviert werden? Und wo würde die Tilgung ansetzen? So, wie wir Prof. Frank Urbaniok kennen, geht er auch schwierigsten Fragestellungen nicht aus dem Weg.
Alle, die bereits an Weihnachten denken und die Festtage planen, seien erinnert, dass Rudolf Lutz mit dem Chor und Orchester unserer J. S. Bach-Stiftung am Samstag, 21. Dezember das Weihnachtsoratorium im KKL in Luzern zur Aufführung bringt. Mit Núria Rial (Sopran), Claude Eichenberger (Alt), Georg Poplutz (Tenor) und Matthias Helm (Bass) sind herausragende Solistinnen und Solisten mit von der Partie. Sollten Sie selbst nicht kommen können, empfehlen wir Ihnen unsere Aufnahme des Weihnachtsoratoriums. Immer wieder auch ein schönes Geschenk unter dem Christbraum.
Wir wünschen schöne Konzerterlebnisse und freuen uns, Sie bald wieder persönlich an unseren Konzerten begrüssen zu dürfen.