Die verstörende Geschichte vom zwölfjährigen Jesus und seinen ihn verzweifelt suchenden Eltern, die ihn am Ende im Tempel unter den Schriftgelehrten finden und von ihm schroff zurechtgewiesen werden, wird in der Kantate BWV 154 der Teilaspekt der «Gottesferne» in den Vordergrund gerückt. Verzweifelte Suche verwandelt sich im Laufe der Bach‘schen Komposition in glaubensselige Nähe, ausgehend vom Kernsatz «Wisset ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?» (Bass-Arioso Nr. 5): die Stimme eines Freundes, wie das im Kantatentext deutlich hervorgehoben wird. Das folgende, heitere Alt-Tenor-Duett und der versöhnliche Schlusschoral lassen die Glaubens- und Vertrauenskrise vollends vergessen. Es handelt sich um ein kurzes, kondensiertes musikalisches Psychogramm, dem man sich gerne unterzieht.
«Gottesferne» wird in der Kantate BWV 154 als individuelles Problem verstanden und gelöst. Es gibt aber auch eine kollektive Sichtweise, nämlich die Abwendung eines ganzen Volkes, einer ganzen Gesellschaft, eines allgemeinen Lebensgefühls von Religion und Spiritualität. Wenn nicht alles täuscht, bewegt sich der westliche Zeitgeist in diese Richtung. «Mein liebster Jesus ist verloren» bietet hinreichend Anknüpfungspunkte für unseren Reflexionsreferenten Alfred Pfabigan. Der Wiener Philosophieprofessor nimmt in seinen Büchern laufend Bezug auf aktuelle Fragestellungen, um auf diese Weise Philosophie nutzbar zu machen im gesellschaftlichen Diskurs.
Wir weisen einmal mehr auf die diesjährigen Konzerttournee mit Bachs Johannespassion bei. Dank einer sehr grosszügigen Spende eines Gönner-Ehepaars sind wir in der Lage, unsere vielbeachtete Interpretation eines Schlüsselwerks von Johann Sebastian Bach noch einmal an verschiedenen Orten der Schweiz und in Liechtenstein aufzuführen. Dass dies in der Karwoche erfolgen kann, freut uns besonders. Sichern Sie sich Ihre Karten, indem Sie den Vorverkauf benützen, und laden Sie Freunde und Bekannte zum Konzert, denen Trogen vielleicht etwas ferne ist. Vielen Dank für Ihr Interesse und Ihre Unterstützung.
Ferner weisen wir Sie auf die Veröffentlichung unserer 42. CD hin. Ebenfalls mit Blick auf die Passionszeit haben wir ein paar Schwergewichte aus unserer Kantatensammlung aufbereitet, nämlich BWV 2, BWV 185 und BWV 37. Der Text zum Booklet stammt wie immer von unserem bewährten Historikerfreund Dr. Anselm Hartinger, Leiter des Stadtgeschichtlichen Museums in Leipzig.
Schliesslich noch ein Hinweis auf ein Reiseprogramm im Zusammenhang mit unserem diesjährigen Auftritt am Bachfest Leipzig am 8. Juni 2023. Chor und Orchester der J. S. Bach-Stiftung St. Gallen werden unter der Leitung von Rudolf Lutz das erste Kantatenkonzert am Eröffnungstag in der der Nikolaikirche bestreiten. Darum herum hat der mit uns seit langer Zeit verbundene Christoph Hug (Vivat Kultur Reisen) ein vielseitiges Programm vorbereitet, an dem zeitweise auch Rudolf Lutz und Anselm Hartinger aktiv gestaltend teilnehmen.